Objekt des Monats

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Objekt des Monats Juli 2021 - Schreibgarnitur mit Fahrrad und Tischglocke

Als Objekt des Monats Juli haben wir eine kunstvoll ausgearbeitete Schreibgarnitur, die in der Abteilung „Industrie- und Konsumgüterfertigung bis 1945“ des Stadtmuseums in der Beschußanstalt ausgestellt ist, ausgewählt.

Die aufwendig gestaltete Schreibgarnitur aus Kupferguss und Stahl ist ausgestattet mit zwei Tintenfässchen inklusive Deckeln und einer Tischglocke. Weiterhin zeigt sie ein Fahrrad und den zugehörigen, davor stehenden Fahrer. Die Figur des Radfahrers ist farbig bemalt und, genau wie die gesamte Schreibgarnitur, in einem sehr guten Erhaltungszustand.

Die Ornamentik des etwa 100 Jahre alten Stücks spiegelt den Zeitgeschmack des Art Deco bzw. Jugendstils wider.

Tischglocken oder auch Rezeptionsglocken sind bekannt aus Hotels, Ladengeschäften oder auch seltener aus Handwerksbetrieben und Arztpraxen.

Die Anfänge der Schreibgarnituren gehen zurück bis ins Mittelalter. Ab dem 18. Jahrhundert wurden durch Kunsthandwerker aufwendig gearbeitete Tintenfässer mit den bisherigen erfolgreichen Erzeugnissen wie Tabletts oder Kerzenleuchtern kombiniert. Ihre Hochzeit erfuhren die reich verzierten Schreibzeuge auf silbernen Tabletts im späten Viktorianischen Zeitalter, also in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Schreibgarnituren mit ihren Tintenfässern mit der Erfindung des Füllfederhalters langsam wieder vom Markt zu verschwinden. Als 1932 der Kugelschreiber entwickelt wurde, verloren die Tintenfässer endgültig ihre Bedeutung. Nur als Kunst- bzw. Dekorationsgegenstände blieben die Schreibzeuge bis heute erhalten.

Aber was hat eine solche Schreibgarnitur nun explizit mit Zella-Mehlis zu tun, also warum befindet sie sich im Bestand des Stadtmuseums?

Zum einen muss man sagen, dass die Garnitur leider keine Herstellerkennzeichnung aufweist, nur eine Fabrikationsnummer, die aber ohne die entsprechende Firma heute nicht mehr nachverfolgbar ist. Die Garnitur stammt aus dem Bestand des alten Heimatmuseums am Mehliser Markt und ist ohne nähere Beschreibung bei uns inventarisiert.

Andererseits lässt sich das Stück jedoch sehr gut in die Zella-Mehliser Industriegeschichte einbetten.

Denn bereits ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es hier bei uns Betriebe, die Glocken hergestellt haben. Die Firma Georg Schilling & Söhne, welche 1821 gegründet wurde, war wohl die erste hiesige Produktionsstätte für anfangs Tisch- und Türglocken und Schlittengeläute und später auch Korridor- und Fahrradglocken.

1900 fusionierte diese Firma mit dem seit 1884 ebenfalls hier ansässigen Glockenhersteller W. Kührt & Schilling GmbH zu der Vereinigten Thüringer Metallwarenfabrik AG („Vereinigte“).

Nach dem I. Weltkrieg gliederte sich dem Unternehmen noch die Firma „Ecksteinwerk“ an, die 1906 ihre Gründung fand.

Ein vierter bedeutender Produzent war die Firma Heinrich Wissner, die im Jahr 1892 gegründet wurde und sich 1898 ebenfalls in eine Aktiengesellschaft umwandelte.

Diese beiden Unternehmen waren zu der Zeit marktbeherrschend.

Nachdem die Wissner AG bereits zu Beginn der1930er Jahre die Aktienmehrheit bei der „Vereinigten“ erlangt hatte, vollzog sie schließlich 1933 die Übernahme des Unternehmens.

Neben diesem sehr bedeutendem Unternehmen existierten jedoch noch weitere kleinere Betriebe, die sich auf die Fertigung von Fahrradglocken und Glockenteilen spezialisiert hatten.

Aufgrund dieser Firmengeschichte ist es naheliegend, dass auch unsere Schreibgarnitur mit Tischglocke in Zella-Mehlis gefertigt wurde. Sehr wahrscheinlich stammt sie aus der Fertigung der Wissner AG, da ähnliche Produkte in den Werbekatalogen der Firma verzeichnet sind. Hier finden sich weitere reich verzierte Schreibsets mit Tischglocken, detailreiche figürliche Tischglocken wie z.B. in Form von Schildkröten oder Schweinen, oder mit pflanzlicher Ornamentik verzierte Glocken. Die Glockenproduktion der Firma fand nicht nur in Zella-Mehlis statt. So wurden z.B. auch in einem Zweigwerk in Tambach-Dietharz Korridorglocken gefertigt.

Natürlich kann es auch sein, dass die Schreibgarnitur von einer anderen hiesigen Firma gefertigt wurde. Sollte jemand einen entsprechenden Nachweis darüber, z.B. die Abbildung in einem Firmenkatalog, kennen, so freuen sich die Mitarbeiter der Museen über eine entsprechende Benachrichtigung zur verbesserten Einordnung des Inventarobjekts. (jk)

Schreibset

SchreibsetVonOben

WissnerTitel

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Wesche1

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